Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.
- Dietrich Bonhoeffer -
Wenn wir als Kleinkind das Laufen lernen, legen wir pro Tag 14.000 Schritte zurück und fallen dabei etwa 100-mal hin. Geht man davon aus, dass ein Kleinkind am Tag 6 Stunden wach ist und nicht schläft, macht das nach Adam Riese 17-mal Hinfallen pro Stunde.
Ein Kind ist intrinsisch motiviert, bei einem Misserfolg immer wieder aufzustehen und es erneut zu versuchen. Zusätzlich wird es von den Eltern und dem Umfeld „sizilianisch“ (…die Sizilianer sind ja bekanntlich die Weltmeister im Loben bei Kindern) gelobt und ermutigt, nicht aufzugeben und weiterzumachen.
Undenkbar die Vorstellung, dass das Kind beim Laufen lernen nach dem ersten Hinfallen sich verweigert weiterzumachen und den Eltern signalisiert:
„So, ich habe jetzt (nicht nur die Windel, sondern auch) die Nase voll und schlage Wurzeln im Kinderwagen!
Liebe Eltern, Ihr habt jetzt den Joker gezogen und dürft mich (m)ein Leben lang durch die Weltgeschichte kutschieren.“
Und so wie beim Laufen lernen geht es mit allen Fertigkeiten, die wir noch nicht können und lernen dürfen. Sei es das eigenständige auf`s Töpfchen gehen, das selbstständige Anziehen oder der Umgang mit Messer und Gabel beim Essen.
Schulnoten werden hierfür nicht vergeben.
Eine amüsante Vorstellung für das Sockenanziehen die Note „4 Minus“ zu bekommen, da man aus 2 verschiedenen Sockenpaaren z. Bsp. eine Tigersocke mit einer Dinosauriersocke kombiniert und die Tigersocke auch noch „auf links“ gedreht ist.
Der Ernst des Lebens fängt dann mit der Einschulung an. Kaum kommen wir in die Schule, dreht sich das Blatt um 180 Grad. Ab diesem Zeitpunkt wird uns eingeimpft, dass das oberste Gebot es ist, Misserfolg und Fehler zu vermeiden. Noch schlimmer, man wird für einen Fehler sanktioniert und zu einem Fehlervermeider (v)erzogen.
Wusstest du, dass Abc-Schützen direkt nach der Einschulung sich in der ersten Klasse durchschnittlich 14-mal freiwillig melden. In der 4. Klasse ist das Ergebnis auf 4-mal pro Unterrichtsstunde -aus Angst etwas Falsches zu sagen,- geschrumpft. Geht man davon aus, dass ein Schultag 6 Stunden hat, so gehen pro Tag 60 potenzielle Beiträge/Meldungen/Ideen eines Schülers bzw. einer Schülerin verloren. Welch verschenktes Potenzial!
Die Kinder entwickeln sog. Anti -Fehlerprogramme, um Fehler zu vermeiden und auch in der Schule und in der Gesellschaft nicht „blöd“ dazustehen.
Wir Menschen sind die einzigen Lebewesen, die bei der Begehung von Fehlern Schuldgefühle und Minderwertigkeitskomplexe haben, die natürlich negative Emotionen mit sich bringen, die es zu vermeiden gilt. Zu diesen Anti-Fehler-Programmen, kann es in der Schulzeit gehören, sich aus Angst weniger bzw. nicht zu melden, seine eigenen Ideen und Vorstellungen nicht in die Außenwelt zu bringen, sich zurückzunehmen und anzupassen und sein eigenes Potenzial zu begrenzen und sich dadurch nicht weiterzuentwickeln.
Dieses Gefühl der Angst und der Demütigung kenne ich nur allzu gut aus eigener schmerzlicher Erfahrung aus meiner Schulzeit.
Ich weiß noch, als wäre es gestern, wie ich in der 7. Klasse meines strengen und konservativen Gymnasiums, auf das ich von meinem Vater gezwungen wurde, um Latein zu lernen (ich wollte viel lieber Französisch lernen und mit meinen besten Freundinnen auf ein weniger prestigeträchtiges Gymnasium gehen) von meiner strengen Deutschlehrerin Frau D. -vor der gesamten Klasse (!)- aus dem Lateinunterricht raus zitiert wurde.
Der nach Desinfektions- und Linoleumreinigungsmittel Geruch des nüchtern gehaltenen Schulflures im 2. Stock des alten Schulgebäudes, das -durch die hohen Decken und großen Säulen- wie ein angsteinflößendes Gerichtsgebäude- mich noch kleiner, als ich mich eh schon fühlte, machte, liegt mir noch heute, stechend in der Nase.
Frau D., die ihrem äußeren Erscheinungsbild zu urteilen, eine Kopie von der „Denver-Clan Blondine Krystle Carrington“ (für die jüngeren Semester: Der Denver-Clan war in den 90er Jahren eine amerikanische Fernsehserie mit Kultstatus, die auch die deutschen Bildschirme eroberte) darstellte, rollte mit den Augen, verzog ihr Gesicht und hielt mir schnaufend ein aufgeschlagenes Diktatheft direkt unter die Nase.
Die Verfasserin der Handschrift besagten Schulheftes war mir sehr wohlbekannt. Es handelte sich eindeutig um meine Wenigkeit, heute würde ich sagen, um meine Großartigkeit. Da half jetzt auch kein Stoßgebet mehr, nach dem Motto: „Lieber Gott, lass Lücke wachsen!“. Da musste ich jetzt durch!
Der Text meines Heftes war mit unzähligen roten Randbemerkungen und durchgestrichenen Wörtern sowie Buchstaben übersät, man könnte meinen, eine rote Farbbombe wäre zwischen den Seiten explodiert.
Frau D. donnerte: „Birgitta, Du hast 36 Fehler!“
Das war schließlich nicht zu übersehen. War doch alles überdimensional und mit einer gefühlten Kohorte von roten F´s markiert.
„Du musst Dich wirklich mehr anstrengen und üben, sonst schaffst Du das Probehalbjahr nicht!“ zischte Frau D.
Von den restlichen 234 Worten, die ich richtig geschrieben hatte, unter 100% Einsatz mein Bestes zu geben (ich hatte ja nicht nebenbei ein Micky Maus Heft gelesen, Handys gab es ja als Ablenkungstool zu diesem Zeitpunkt noch nicht) erwähnte sie nichts.
Immerhin, um in der Welt der Zahlen zu bleiben, hatte ich 87 % richtig geschrieben und nur 13 % der Wörter noch (!) nicht adäquat aufs Papier gebracht.
Noch heute, 35 Jahre später, bin ich von dieser gefühlten „Hinrichtung“ und Demütigung zutiefst traumatisiert.
Immer wieder frage ich mich, warum fällt es Lehrkräften und Erwachsenen so schwer, den Fokus bzw. das Scheinwerferlicht nicht auf das zu lenken, was halt (noch nicht) klappt bzw. auf die scheinbaren Schwächen, als den Lichtstrahl auf das zu richten, was gelingt?
Der Lehrauftrag müsste doch die Entwicklung, das „Auswickeln“ des vollen Potenzials bzw. das Wachstum und nicht die „Schrumpfung“ des Kindes als Zielsetzung haben.
Wie wichtig ist es doch, Schüler und Schülerinnen zu motivieren und zu ermutigen, Fehler zu machen, daraus zu lernen und es beim nächsten Mal anders bzw. besser zu machen. Sich eigenständig zu entwickeln, anstatt die Angst zu schüren, Fehler zu begehen. Angst lähmt!
Wo doch bekannt ist, dass Angst der größte Killer von Leistung und Fortschritt ist und Kreativität nur in einem angstfreien Umfeld entstehen kann.
Hierzu eine kleine Geschichte:
Der geniale Erfinder Thomas Alva Edison erfand 1879 die Glühlampe. Er unternahm fast 9.000 Versuche, bis er die Glühlampe zur Marktreife entwickelte. Nach dem 1.000. Versuch, sprach ein Mitarbeiter vom Scheitern.
Edison erwiderte:
„Ich bin nicht gescheitert. Ich kenne jetzt 1.000 Wege, wie man keine Glühlampe baut.“
Was wäre, wenn er entmutigt aufgegeben hätte, sich wegen seiner Fehler und seines Scheiterns gegrämt hätte?
Wusstest du, dass im Durchschnitt nach dem sechsten Lebensjahr ein Mensch bei der Erlernung einer neuen Technik, es nur einmal versucht und dann aufgibt. Da sollten wir uns doch an das Mindset von Edison halten und Fehler und Rückschläge als Möglichkeit nutzen, zu lernen, um weiter an der Lösung zu arbeiten, um sein Ziel näherzukommen
Und hast du schon einmal bemerkt, dass die Worte Fehler und Helfer aus den gleichen Buchstaben bestehen.
Quintessenz: Fehler sind Helfer!
Erfolgreiche Fehler:
10 sensationelle Dinge, die nur zufällig durch Fehlschläge erfunden wurden:
Röntgenstrahlen, Sekundenkleber, Champagner, Kaffee, Klettverschluss, Kartoffelchips, Tarte Tatin, Penicillin, Feuerwerk, Streichhölzer, Post-it
Tipp:
Wenn Dein Kind einen Fehler macht, dann sage:
Glückwunsch! Da ist unser Helfer!
Wir dürfen wieder etwas lernen und wachsen. Was hat Dir als Lernprofi der Fehler beigebracht? Wenn es sich um einen schriftlichen Fehler handelt, kannst Du auch einfach an den Rand des Schulheftes eine kleine Lupe malen und vermeide bitte Rotstifte!